Irgendwann im Leben fängt man an, sich zu fragen, wo man steht. Und vielleicht erkennt man, so wie ich erkennen musste, dass die angeblich eigenen Ansichten und Überzeugungen, genauso wie die Ethik und vor allem das Weltbild von anderen gedacht und nur von einem selbst übernommen wurden.

Ich kam mir vor wie in dem Stück „Im Land der Blinden“ von H. G. Wells. Der Protagonist Nunez trifft in einer abgelegenen Bergregion auf eine Gesellschaft von Menschen, die von Geburt an blind sind. Nunez ist zunächst fasziniert von ihrer friedlichen und harmonischen Gemeinschaft, in der die Blinden ihre Umgebung mit ihren anderen Sinnen wahrnehmen und ein erfülltes Leben führen.

Allerdings erkennt Nunez bald, dass die Blinden keine Vorstellung von der Welt außerhalb ihrer Gemeinschaft haben und daher auch keine Notwendigkeit sehen, ihre Sinne zu erweitern oder neue Erfahrungen zu machen. Als Nunez versucht, den Blinden die Existenz von Licht und Sehen zu erklären, stoßen seine Bemühungen auf Unverständnis und Ablehnung. Die Blinden betrachten Nunez‘ Behauptungen als absurd und halten ihn für verrückt.

Die Sichtweise von Wells ist, dass das Fehlen von Sinneserfahrungen zu einer Begrenzung des Denkens und der Vorstellungskraft führen kann. Die Blinden in der Geschichte repräsentieren eine Gesellschaft, die in ihrer eigenen begrenzten Realität gefangen ist und keine Möglichkeit hat, über diese hinauszugehen.

Nicht anders erlebe ich vielfach die Gesellschaft, die Menschen sind gefangen in einer Welt, die nicht ihre ist. Zwar spüren das viele, doch sie merken nicht, dass sie selbst es sind, die sich gefangen genommen und gehalten haben.